Moritz Franz Beichl – Männer 
Moritz Franz Beichl – Männer 

Moritz Franz Beichl – Männer 

„Unser Vater war nie einer von diesen Männern, ich und du auch nicht.“

CW: Krankheit, Magersucht, Queerfeindlichkeit, Tod

Der Regisseur und Autor Moritz Franz Beichl legt mit Männer seinen zweiten Roman vor. Anhand zweier ungleicher Brüder verhandelt Beichl Männlichkeit. Den Protagonisten und seinen knapp drei Jahre älteren Bruder Konrad verbindet außer gemeinsamen Eltern und Aufwachsen wenig. Als der Vater stirbt, ist das Begräbnis sowie der Nachlass zu organisieren und bringt die beiden Brüder wieder zusammen. Ihre Differenzen treten deutlich hervor und alte Wunden, die nie verheilt sind, pochen wieder schmerzhaft. 

„Sind die anderen großen Brüder auch so gemein, wie du es zu mir bist, oder liegt es an mir selbst?“

In Erinnerungen erzählt der Protagonist sein queeres Coming-of-Age, eingebettet in die Erfahrung des Aufwachsens überwiegend mit einem alleinerziehenden Vater und einem Bruder, der „[…] der selbsterwählte Vaterersatz, das Vorbild, der Coole, dem ich so sehr nahekommen, den ich so sehr nachahmen wollte“, war. Das Heranwachsen war geprägt von Gewalt durch Demütigung und Abweisung von Bruder und Vater. Der Schmerz sitzt so tief, dass er als Erwachsener noch oft an das Erlebte zurückdenkt und endlich die richtigen Widerworte findet, „[…] um nach Jahrzehnten endlich meine Genugtuung zu bekommen, meine Ruhe, meinen Frieden“. Der Protagonist hat sehr unter einer Männlichkeit, in der Zuneigung untereinander nur durch lieb gemeinte Bosheiten gezeigt werden kann, zu leiden – und dennoch: „Nicht, dass wir uns nicht liebten, oder uns weigerten, diese Sätze auszusprechen. Es gab bloß keine Notwendigkeit, es zu tun. Nur Scham und Angst, die uns hemmten.“ Die verschiedenen Facetten werden durch die Interaktionen mit dem Bruder – damals wie heute –, den Erinnerungen an den Vater sowie den Kontakten mit Männern heute, meist im sexuellen Kontext, herausgearbeitet und in ihrer Vielschichtigkeit offengelegt. 

„[…] ich brauche keine Entschuldigungen mehr. Das Einzige, was du tun musst, ist zu begreifen, dass du mir auf eine Art und Weise – willentlich oder unwillentlich – Gewalt angetan hast. Kindliche, verspielte, närrische, spitzbübische Gewalt. Die am Ende immer noch Gewalt war.“

Beichls Auseinandersetzung mit Männlichkeit bekommt durch die Homosexualität des Protagonisten ihre Konsequenz. Othering von Queerness sowie Voyeurismus als Entertainment, in dem queeres Leid „ästhetisiert und fetischisiert“ wird, finden klare Kritik. Anhand des Protagonisten legt der Autor außerdem offen, wie sich die Distanz zwischen zwei Brüdern durch internalisierte Queerfeindlichkeit vergrößern kann. Die Eifersucht auf heterosexuelle Männer, die ohne die damit verbundenen verletzenden Erfahrungen mit einem unbeschwerteren Selbstbewusstsein durch die Welt stolzieren können, potenziert die Entfremdung. Trotz der Minderwertigkeitskomplexe schafft es der Protagonist als Erwachsener, sein Gefühl der Unzulänglichkeit so weit abzulegen, dass er sich bei Liebschaften nicht mehr in die Schranken von masc4masc weist, gegenüber seinem Bruder für sich einsteht und die Verletzungen durch den Vater deutlich benennt. Obwohl die Erinnerungen an Kindheit und Jugend in den Klauen toxischer Männlichkeit so schmerzhaft sind, gibt Beichls Männer Hoffnung, indem es eine Geschichte von Emanzipation und Befreiung erzählt. 

Die kluge Auseinandersetzung mit Männlichkeit in ihrer Vielschichtigkeit schafft der Autor mit wenigen Worten auf 150 Seiten, die aber umso aussagekräftiger sind. Der Autor als Regisseur hinterlässt seine Spuren im Erzählten, da die Szenen der Gespräche zwischen den beiden Brüdern im Jetzt als klassischer Dialog geschrieben sind. Beichl versteht es, damit eine Unmittelbarkeit aufzubauen – sie lässt beim Lesen noch intensiver auf den Schlagabtausch der Brüder und all die Dimensionen, die angedeutet oder zwischen den Zeilen liegen, blicken. Männer ist eine so beeindruckende Erzählung, dass man sofort, falls noch nicht geschehen, Beichls ersten Roman Die Abschaffung der Wochentage beginnen möchte, um noch mehr aus dieser klugen Feder lesen zu können. 

von Michaela Minder

Moritz Franz Beichl
Männer
Residenz 2024
160 Seiten
22,00 Euro
ISBN: 9783701717859

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